Immer wieder kommen Fälle vor Gericht, bei denen um die Pflicht von
gewerblichen Mietern gestritten wird, während eines coronabedingten Lockdowns weiter die Miete zu zahlen. Auch der Bundesgerichtshof hat zu einem solchen Fall kürzlich entschieden.
Kann man eine Mietimmobilie durch irgendwelche Umstände nicht so nutzen, wie vertraglich vorgesehen, drängt sich der Gedanke an eine
Mietminderung auf. Fällt die Nutzungsmöglichkeit ganz weg, könnte dies auch
eine Minderung auf null sein. Grundsätzlich muss der Vermieter nicht an dem Mangel der Mietimmobilie schuld sein, damit der Mieter die Miete mindern kann. Nun fragt es sich, ob auch eine
allgemeine behördliche Betriebsschließung bei einer Gewerbeimmobilie den Mieter zu einem solchen Schritt berechtigt. Für den Mieter kommen noch weitere rechtliche Gründe in Betracht, um während der Schließung keine Miete zu zahlen. Ein oft diskutiertes Argument ist dabei die
Störung der Geschäftsgrundlage.
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Lange Zeit keine einheitliche Rechtsprechung
Die Rechtsprechung zu dieser Frage war lange uneinheitlich. So befasste sich das Oberlandesgericht Dresden mit einem Fall, in dem der Inhaber eines Textilgeschäfts während der behördlich angeordneten Schließung im April 2020 keine Miete bezahlt hatte. Der Händler führte dafür drei Gründe an:
- Einen Mangel der Mietsache (Mietminderung 100 %),
- eine Unmöglichkeit der Überlassung der Mieträume zum vereinbarten Zweck,
- ein Recht auf Anpassung der Miete wegen einer "Störung der Geschäftsgrundlage" nach § 313 BGB.
Das Gericht sah hier
keinen Mangel der Mietsache: Unter anderem seien die Mieträume in einem Zustand, der ihre Nutzung als Verkaufsraum und Lager für Textilien erlaube. Auch auf die Regeln der Unmöglichkeit der Vertragsdurchführung könne sich der Mieter hier nicht berufen. Das Gericht gestand dem Textilhändler aber eine
Anpassung der Miete wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage zu – und zwar um 50 Prozent.
Von einer Störung der Geschäftsgrundlage geht man aus, wenn beide Vertragspartner bei Abschluss des Vertrages von bestimmten Gegebenheiten ausgehen. Dann jedoch ändern sich diese nachträglich so erheblich, dass man den Vertrag bei Kenntnis dieser Änderung gar nicht oder nicht in dieser Form abgeschlossen hätte. Wenn nun einem der beiden Vertragspartner das Festhalten am
unveränderten Vertrag nicht zumutbar ist, hat er das Recht auf eine Anpassung der Konditionen. Hier hielt das Gericht es für angemessen, die Belastung hälftig auf beide Seiten zu verteilen – denn immerhin hätte keiner der Beteiligten bei Vertragsabschluss die Corona-Pandemie vorausahnen können (OLG Dresden, Urteil vom 24.02.2021, Az. 5 U 1782/20).
BGH: Gebrauchsbeschränkung kein Mangel am Objekt selbst
Dieser Fall ging vor den Bundesgerichtshof. Die Klägerseite forderte nämlich weiter die volle Miete. Auch der BGH ließ keine Mietminderung zu. Voraussetzung dafür sei, dass die durch die Allgemeinverfügung zur Schließung bewirkte
Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts zusammenhänge. Dies sei nicht der Fall gewesen.
Die Schließung habe nur an die Nutzungsart und den sich daraus ergebenden Publikumsverkehr angeknüpft, den man aus Gründen des Infektionsschutzes untersagt habe. Die
Allgemeinverfügung habe jedoch weder dem Mieter die Nutzung der angemieteten Geschäftsräume im Übrigen noch der Klägerin die Überlassung der Mieträume verboten. Das Mietobjekt habe daher weiter für den vereinbarten Mietzweck zur Verfügung gestanden.
Ein Mangel ergebe sich auch nicht aus dem vereinbarten Mietzweck der Räumlichkeiten zur "Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien". Der Mieter habe nicht davon ausgehen können, dass der Vermieter mit der Vereinbarung dieses Zwecks das Risiko einer hoheitlich angeordneten Schließung im Falle einer Pandemie habe tragen wollen.
Der Ausweg: Die Störung der Geschäftsgrundlage
Der BGH gestand Geschäftsraummietern jedoch
grundsätzlich das Recht zu, bei einer lockdownbedingten Zwangsschließung eine Anpassung der Miete wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB zu verlangen. Der Mieter könne aber nicht in jedem Fall eine Anpassung fordern – schon gar nicht immer pauschal um 50 Prozent. Stattdessen müsse
in jedem Einzelfall eine genaue Abwägung vorgenommen werden, um zu prüfen, welche Nachteile genau dem Mieter entstanden seien – zum Beispiel welcher Umsatzrückgang. Gemeint sei der Umsatzrückgang der Filiale und nicht der des Konzerns. Es sei auch zu berücksichtigen, welche Maßnahmen der Mieter zur Verringerung des Umsatzrückgangs ergriffen habe oder hätte ergreifen können.
Für eine Anwendbarkeit von § 313 BGB spreche hier auch der im Dezember 2020 eingeführte Art. 240 § 7 EGBGB (Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch). Danach wird gesetzlich vermutet, dass eine
schwerwiegende Änderung vertragsrelevanter Umstände stattgefunden hat, wenn ein Gewerberaummieter seine Räume infolge von staatlichen Corona-Maßnahmen nicht oder nur eingeschränkt für seinen Betrieb nutzen kann. Die Frage, ob diese Vorschrift rückwirkend anwendbar ist, hielt der BGH für nicht relevant, da sie nur einen begrenzten Regelungsgehalt habe.
Natürlich dürfe es
in keinem Fall eine Überkompensation des Schadens geben. Daher seien auch bei der Anpassung der Miete staatliche Coronahilfen und Leistungen einer Betriebsschließungsversicherung zu berücksichtigen. Nicht zu berücksichtigen seien vergünstigte Kredite, da diese keine dauerhafte Kompensation darstellten. Nicht erforderlich sei eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters. Zu berücksichtigen seien hingegen durchaus die Interessen der Vermieterseite.
Der BGH verwies den Fall zur näheren Prüfung dieser Fragen an die Vorinstanz zurück (Urteil vom 12.01.2022, Az. XII ZR 8/21).
In seinen Erwägungen stellte der BGH auch klar, dass die
Corona-Spezialregelung des Artikel 240 § 2 EGBGB hier
nicht das übliche Mietrecht oder Schuldrecht aushebelt. Dabei handelt es sich um den zeitlich begrenzten Ausschluss des Kündigungsrechts des Vermieters, wenn der Mieter zwischen 1. April 2020 und 30. Juni 2020 coronabedingt nicht zahlen konnte. Mit der Höhe der Miete habe diese Regelung nichts zu tun.
OLG Karlsruhe: Existenzgefährdung als Voraussetzung
Mit einem weiteren Fall befasste sich das Oberlandesgericht Karlsruhe. Auch hier ging es um ein Geschäft, das zu einer Einzelhandelskette gehörte. Auch dieses Gericht sah keinen Mangel der Mietsache und damit keinen Grund für eine Mietminderung. Eine Störung der Geschäftsgrundlage komme grundsätzlich in Betracht. Allerdings sei von einer Unzumutbarkeit der Mietzahlung für den Mieter nur auszugehen, wenn im konkreten Einzelfall besondere Umstände vorlägen – wie eine
Existenzgefährdung des Mieters. Auch dürften die Interessen des Vermieters einer Anpassung des Vertrages nicht entgegenstehen. Da der Mieter hier keine ausreichenden Details zu seinem Umsatzrückgang, weiteren Einnahmemöglichkeiten etwa durch Onlinehandel, eingesparten Kosten durch Kurzarbeit etc. genannt hatte, wurde ihm
keine Mietanpassung zugestanden (Urteil vom 24.2.2021, Az. 7 U 109/20).
Dieser Fall ist beim Bundesgerichtshof anhängig und wird nach den oben dargestellten Grundsätzen des BGH entschieden werden. Die Existenzgefährdung dürfte dabei als Argument keine Rolle spielen.
Saalmiete für eine Hochzeit: Gleiche Argumentation
Mit einer
anderen Fallkonstellation beschäftigte sich der Bundesgerichtshof im März 2022: Es ging um einen Saal, den ein Paar für seine Hochzeit am 1. Mai 2020 gemietet hatte. Diese musste abgesagt werden, weil zu dieser Zeit Treffen von mehr als zwei Personen im öffentlichen Raum verboten waren. Der
Vermieter hatte einen Alternativtermin angeboten, das Hochzeitspaar war trotzdem vom Vertrag zurückgetreten.
Auch hier lehnte der BGH einen Mangel der Mietsache oder eine Unmöglichkeit der Leistungserbringung ab, ließ aber eine Anpassung des Vertrages wegen Störung der Geschäftsgrundlage in der Theorie zu. Dieser Anspruch beschränke sich jedoch auf eine Verlegung des Termins. Diese sei dem Paar zumutbar, da es standesamtlich bereits seit zwei Jahren verheiratet sei. Der Vermieter musste also die im Voraus gezahlte
Saalmiete nicht zurückzahlen (Urteil vom 2.3.2022, Az. XII ZR 36/21).
Fazit: Gute Karten für Vermieter, schwierige Mietanpassung
Für Mieter von Gewerberäumen gibt es bei einer lockdownbedingten Schließung demnach zwar
keine Möglichkeit, eine Mietminderung geltend zu machen. Es kann jedoch durchaus eine Anpassung der Miete mit dem Argument einer
Störung der Geschäftsgrundlage gefordert werden. Allerdings muss der Mieter vor Gericht dafür umfangreich darlegen, welchen
Umsatzrückgang er genau erlitten hat und welche Maßnahmen ihm möglich waren, um den Schaden zu begrenzen. Dies dürfte oft schwierig sein. Pauschale Prozentsätze, mit denen man etwa bei Verhandlungen zwischen Vermieter und Mieter in der Praxis arbeiten könnte, hat der BGH nicht zur Verfügung gestellt.
letzte Änderung U.M.
am 17.03.2023
Autor(en):
Ulf Matzen
Bild:
Bildagentur PantherMedia / Maryna Pleshkun
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Autor:in
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Herr Ulf Matzen
Ulf Matzen ist Volljurist und schreibt freiberuflich Beiträge für Online-Portale und Unternehmen. Ein wichtiges Thema ist dabei das Immobilienrecht, aber auch das Verbraucherrecht ist häufig vertreten. Ulf Matzen ist Mitautor des Lexikons "Immobilien-Fachwissen von A-Z" (Grabener-Verlag) sowie von Kundenzeitungen und Ratgebern.
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