Der sogenannte
Widerrufsjoker kann eine Notbremse sein, um aus einem Kreditvertrag herauszukommen - und zu einem günstigeren Zinssatz umzuschulden. Er hat in den letzten Jahren einige gesetzliche Einschränkungen erfahren, aber:
Es gibt ihn noch.
Oft konnte man lesen, dass der Widerrufsjoker abgeschafft sei. Bei bestimmten Immobiliendarlehen ist er aber
nach wie vor einsatzfähig. Verbraucher, die einen Immobilienkredit aufgenommen haben, können diesen daher unter Umständen auch nach Jahren noch widerrufen. Dann kann ein neuer Kreditvertrag abgeschlossen werden - zu viel günstigeren Zinssätzen.
Was genau ist der Widerrufsjoker?
Wer einen Verbraucherdarlehensvertrag abschließt, kann diesen innerhalb von 14 Tagen widerrufen. Denn: Hier handelt es sich um einen Vertrag mit langfristigen Folgen. Verbraucher sollen die Möglichkeit haben, es sich noch einmal zu überlegen.
Die Widerrufsfrist beginnt nur zu laufen, wenn das Geldinstitut den Kunden korrekt über sein Widerrufsrecht belehrt hat.
Die
gesetzlichen Regeln für eine solche Widerrufsbelehrung haben sich im Laufe der Zeit immer wieder geändert, und viele Vertragsbedingungen wurden nicht angepasst. Stellt sich nachträglich heraus, dass die Widerrufsbelehrung ungültig war, ist auch die Widerrufsfrist nicht abgelaufen. Dann können Kreditnehmer den Vertrag noch lange nach Ablauf der 14 Tage widerrufen.
Was ist das ewige Widerrufsrecht und wie ist der Widerruf heute geregelt?
Eine
gesetzliche Einschränkung für den Widerruf
gab es zunächst nicht, und so konnten auch recht alte Darlehensverträge noch widerrufen werden. Dies bezeichnet man als das "ewige Widerrufsrecht". Dieses lag jedoch nicht im Interesse der Geldinstitute. Diese wollten Rechtssicherheit und verlässliche Zinseinnahmen. Bald wurde der Ruf nach einem Ende des ewigen Widerrufsrechtes lauter.
Seit einer Gesetzesänderung zum 21. März 2016 erlischt das Widerrufsrecht für Immobiliendarlehen auch im Fall einer
fehlerhaften oder fehlenden Widerrufsbelehrung spätestens 12 Monate plus 14 Tage nach dem Vertragsschluss. Geregelt ist dies in § 356b Abs. 2 S. 4 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).
Für Verträge, die vor dem 21. März 2016 abgeschlossen wurden, gelten jedoch andere Regeln. Und genau hier führt das ewige Widerrufsrecht weiter ein Nischendasein.
Welche Immobilien-Darlehen sind immer noch langfristig widerrufbar?
Verträge, die zwischen dem 11. Juni 2010 und dem 20. März 2016 geschlossen wurden, können weiter zeitlich unbegrenzt widerrufen werden - sofern die
Widerrufsbelehrung fehlerhaft war oder ganz fehlte.
Verbraucher konnten Verträge mit fehlerhafter Widerrufsbelehrung, die sie zwischen dem 2. November 2002 und dem 10. Juni 2010 abgeschlossen hatten, noch bis zum 21. Juni 2016 widerrufen. Jetzt ist dies nicht mehr möglich.
Ausnahme: Die Widerrufsbelehrung fehlte ganz. Dann kann auch hier immer noch ein Widerruf erfolgen.
Für Verträge aus der Zeit vor dem 2. November 2002 gelten andere Regeln. Damals existierte das Widerrufsrecht für Verbraucherdarlehen noch nicht. Möglich war nur eine Kündigung mit Zahlung einer
Vorfälligkeitsentschädigung.
Ein Widerruf von Verträgen von vor dem 10. Juni 2010 kann außerdem noch möglich sein, wenn diese in einer sogenannten
Haustürsituation abgeschlossen wurden und die auch für solche Geschäfte vorgeschriebene Widerrufsbelehrung fehlerhaft war oder fehlte. In dieser Zeit wurden viele Immobilienkredite durch Vertreter an der Haustür vermittelt (Stichwort "Schrottimmobilien").
Welche Bedeutung hat das Urteil des Europäischen Gerichtshofes von 2020?
Der EuGH hat sich mit einem deutschen Immobilien-Darlehensvertrag beschäftigt, der 2012 abgeschlossen und 2016 widerrufen worden war. Die Widerrufsbelehrung enthielt bei den Angaben zum Beginn der Widerrufsfrist einen
sogenannten Kaskadenverweis - es wurde also auf eine Rechtsvorschrift verwiesen, die auf andere Paragraphen in einem anderen Gesetz verwies, die wieder auf andere Vorschriften verwiesen und so weiter. Meist klingt das etwa so:
„Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrages, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.“
Da kaum ein Verbraucher aus dieser Regelung herauslesen kann, wann seine Widerrufsfrist beginnt, erklärte der Europäische Gerichtshof die
Klausel für unzulässig. Solche Verträge aus der Zeit zwischen 2010 und 2016 könnten demnach widerrufen werden (Urteil vom 26.3.2020, Az. C-66/19). Das Pikante daran: Die Klausel stammte ursprünglich aus der Muster-Widerrufsbelehrung der Bundesregierung für den entsprechenden Zeitraum. Geldinstituten kann normalerweise nicht vorgeworfen werden, dass sie die von der Bundesregierung vorgegebenen Muster verwenden.
Der deutsche Bundesgerichtshof entschied schon ein paar Tage später, dass die Regelung doch völlig eindeutig sei - ein
Widerruf komme nicht in Frage. Auch sei die vom EuGH verwendete EU-Verbraucherkreditrichtlinie bei Immobiliendarlehen gar nicht anwendbar (Beschluss vom 31.3.2020, Az. XI ZR 581/18). Zwar lässt der Bundesgerichtshof inzwischen bei Autokrediten den Kaskadenverweis ausreichen, damit die Widerrufsbelehrung unwirksam ist. Bei Immobiliendarlehen gilt aber weiterhin: Ein Kaskadenverweis allein berechtigt noch nicht zum Widerruf.
Welche Folgen hat ein Widerruf?
Der gesamte
Darlehensvertrag muss rückabgewickelt werden. Der Verbraucher bekommt alle Zahlungen inklusive Zinsen und Tilgung zurück und die Bank erstattet ihm den daraus entstandenen Gewinn als sogenannten Nutzungsersatz. Der Kunde muss aber auch das Darlehen inklusive der noch nicht gezahlten Zinsen (als Wertersatz) zurückzahlen. Dies passiert innerhalb von 30 Tagen ab Widerruf. Beide Summen werden meist gegeneinander verrechnet, so dass der Kunde nur die Restschuld laut Tilgungsplan zurückzahlt, berichtigt um den Saldo aus Wert- und Nutzungsersatz.
Hat der Kunde das Darlehen vorzeitig abgelöst, bekommt er auch die gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung zurück. Die Bank muss sogar Bereitstellungszinsen zurückerstatten, die sie verlangt hat, während das Darlehen noch nicht abgerufen war. Der Verbraucher kann einen neuen Kredit zu einem niedrigeren Zinssatz aufnehmen.
Welche Risiken sind mit einem Widerruf verbunden?
Nach dem Widerruf wird das Darlehen
innerhalb von 30 Tagen abgewickelt. Ein Widerruf des Widerrufs ist nicht möglich. Kann der Kreditnehmer den verlangten Betrag nicht zurückzahlen, droht eine Zwangsversteigerung seiner Immobilie. Daher sollte man sich vor dem Widerruf um eine Anschlussfinanzierung kümmern!
Es ist nicht gesagt, dass die erste beste Bank sich auf die Anschlussfinanzierung einlässt. Einige Banken haben in der Vergangenheit Bedenken gezeigt, sich mit Kunden einzulassen, die bereits bei der Konkurrenz Verträge widerrufen haben. Auch verschlechtert ein Widerruf unter Umständen die Bonitätsbewertung und damit die Kreditwürdigkeit. Es sollte also einkalkuliert werden, dass erst mehrere Banken angesprochen werden müssen.
Ein Widerruf sollte gut überlegt sein. Er kann zu einem
jahrelangen Prozess durch mehrere Gerichtsinstanzen führen, der Kosten verursacht. Ob die Rechtsschutzversicherung zahlt, sollte man vorher abklären. Die Chancen, Geld durch den Widerruf einzusparen, sollten gegen das Prozessrisiko im jeweiligen Fall abgewogen werden. Hier ist fachkundige Beratung nötig.
Ist ein Widerruf rechtsmissbräuchlich?
Banken berufen sich zum Teil darauf, dass ein Widerruf rechtsmissbräuchlich (und unwirksam) ist, wenn er nur zu dem Zweck erfolgt, sich einen finanziellen Vorteil zu verschaffen. Die Gerichte urteilen dazu nicht einheitlich. Der Bundesgerichtshof hat allerdings 2016 entschieden, dass ein solches Motiv des Verbrauchers
allein nicht ausreicht, um einen Widerruf als Rechtsmissbrauch anzusehen (Az. XI ZR 501/15).
letzte Änderung U.M.
am 06.03.2023
Autor(en):
Ulf Matzen
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Autor:in
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Herr Ulf Matzen
Ulf Matzen ist Volljurist und schreibt freiberuflich Beiträge für Online-Portale und Unternehmen. Ein wichtiges Thema ist dabei das Immobilienrecht, aber auch das Verbraucherrecht ist häufig vertreten. Ulf Matzen ist Mitautor des Lexikons "Immobilien-Fachwissen von A-Z" (Grabener-Verlag) sowie von Kundenzeitungen und Ratgebern.
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