2023 haben viele Grundstückseigentümer Einspruch gegen ihren
Grundsteuermessbescheid und
Grundsteuerwertbescheid eingelegt. Denn: Auch das neue Grundsteuersystem wirft viele rechtliche Zweifel auf. Erste Gerichtsentscheidungen sind nun ergangen.
Einspruch gegen Grundsteuerbescheid: Wie läuft das Verfahren ab?
Bisher wurden in der Regel noch
keine endgültigen Grundsteuerbescheide erteilt, sondern nur die vorbereitenden: der Grundsteuermessbescheid und der Grundsteuerwertbescheid. Eigentümer, die sich gegen die neue Grundsteuer wehren möchten, müssen bereits gegen diese beiden Bescheide vorgehen, da sie die Grundlage zur Berechnung der späteren Grundsteuer bilden - auch, wenn darin noch kein Steuerbetrag genannt wird.
Ein
Widerspruch richtet sich an die Behörde, die den Bescheid erlassen hat. Diese kann ihn ändern oder so lassen. In der Regel wird ein Widerspruch kaum Erfolg haben - es sei denn, es werden konkrete Berechnungsfehler oder Ähnliches geltend gemacht. Hilft die Behörde dem Widerspruch nicht ab, können Betroffene Klage erheben. In den bisherigen
Entscheidungen geht es um das neue "Bundesmodell".
Wie hat das Sächsische Finanzgericht Leipzig entschieden?
Sachsen wendet das
Bundesmodell mit Abweichungen an. Das Finanzgericht Leipzig hat die Feststellung der Grundsteuerwerte und des Grundsteuermessbetrages nach diesen Regelungen für rechtmäßig erklärt. Das Bundesverfassungsgericht habe dem Gesetzgeber bei der Grundsteuer viel Gestaltungsspielraum gegeben.
Er dürfe die Bewertung des Grundbesitzes möglichst einfach und praktikabel gestalten.
Pauschalierungen und Typisierungen seien daher
zulässig. Grenze sei der Gleichheitsgrundsatz. Das Bemessungssystem müsse eine "realitätsgerechte und lastengleiche Besteuerung" sicherstellen. Das aktuelle Regelwerk genüge diesen Anforderungen.
Es sei rechtmäßig, der Berechnung des
Ertragswertes einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Immobilie durchschnittliche Nettokaltmieten zugrunde zu legen. Es müssten nicht alle Eigenheiten des einzelnen Gebäudes berücksichtigt werden.
Es sei zulässig, dass der
Bodenwert durch Gutachterausschüsse festgelegt werde. Diese seien von den Finanzbehörden unabhängig. Dass in jedem Ausschuss zwei Finanzbeamte säßen, schade nichts.
Zweifel an der Bestimmtheit der Bescheide bestünden nicht: Zwar lasse sich an ihnen nicht die endgültige steuerliche Belastung ablesen. So sei es aber nach altem Grundsteuerrecht auch schon gewesen, da die Gemeinden im laufenden Jahr ihre Hebesätze anpassen durften (Urteil vom 24.10.2023, Az. 2 K 574/23, Rechtsmittel möglich).
Wie hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz entschieden?
Das
Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat sich auf die Seite der Grundeigentümer gestellt. Es hat in zwei Fällen entschieden, dass die Vollziehung der Grundsteuerwertbescheide wegen "ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit" auszusetzen sei. Es handelte sich um Beschlüsse im Eilverfahren. Dabei wird der Fall nur summarisch geprüft. Die endgültige Entscheidung erfolgt im Hauptverfahren.
Das Gericht betonte zunächst, dass für Einsprüche gegen Grundsteuerbescheide die
Finanzgerichte zuständig seien - und nicht, wie von der Finanzverwaltung gewünscht, die Verwaltungsgerichte. Dies ist für die Steuerpflichtigen positiv, weil Verfahren bei den Verwaltungsgerichten deutlich länger dauern.
Wie hat das Finanzgericht zur Ermittlung der Bodenrichtwerte entschieden?
Das Gericht in Rheinland-Pfalz bezweifelte, dass das neue Verfahren zur Ermittlung der Bodenrichtwerte rechtmäßig ist. Insbesondere wurde die Unabhängigkeit der rheinland-pfälzischen
Gutachterausschüsse angezweifelt.
Der
Ausschussvorsitzende könne Anzahl und Auswahl der Mitglieder beeinflussen. Es würden zwingend mindestens zwei Angehörige der Finanzverwaltung mitarbeiten, deren Tätigkeit die Finanzverwaltung jederzeit beenden könne. §192 BauGB schreibe jedoch eine Unabhängigkeit der Gutachter vor. Dies bedeute auch Weisungsunabhängigkeit.
Das Gericht hatte zudem ernste Zweifel an der
Vollständigkeit der
Datengrundlage für die Bodenrichtwerte. Es seien große Datenlücken bei der Führung und Auswertung der den Werten zugrunde liegenden Kaufpreissammlung des Gutachterausschusses zu befürchten. Dies begründete das Gericht mit empirischen Untersuchungen aus 2017. Daraus ergebe sich, dass Daten zu wertbildenden Faktoren wie Ausstattung und Modernisierungsgrad in einem teils hohen Prozentsatz der Datensätze gefehlt hätten.
Frühere Untersuchungen hätten ergeben, dass die Ausschüsse gerade in ländlichen Gebieten mit wenig Grundstücksverkäufen kaum genug Daten zur Verfügung hätten und die Bodenrichtwerte stattdessen selbst aufgrund von "Marktgespür und Sachverstand" festsetzten.
In beiden verhandelten Fällen hielt das Gericht es für möglich, dass für die Grundstücke ein niedrigerer Wert anzusetzen sei, als der gesetzlich typisierte Grundsteuerwert.
Welche verfassungsrechtlichen Zweifel hatte das Gericht?
Verfassungsrechtliche Zweifel äußerte das Gericht im Hinblick auf das
Gleichheitsgebot aus
Art. 3 Grundgesetz. Die Bemessungsgrundlage einer Steuer müsse, um die gleichmäßige Belastung der Steuerpflichtigen zu gewährleisten, so gewählt und ausgestaltet sein, dass sie den mit der Steuer verfolgten Belastungsgrund in der Relation der Wirtschaftsgüter zueinander realitätsgerecht abbilde.
Nur könne das Gericht der neuen
Grundsteuerregelung gar keinen klaren Belastungsgrund entnehmen - also keinen Grund für die Besteuerung. Ginge man vom Belastungsgrund des Innehabens von Grundbesitz aus, sei es widersprüchlich, dass die Grundsteuer komplett auf Mieter abgewälzt werden könne. Auch würden Erbbaurechtsgeber von der Grundsteuer komplett entlastet, obwohl sie mit dem Erbbauzins sogar Erträge erzielen würden, während Erbbauberechtigte mit der Steuer belastet würden, obwohl sie für die Grundstücksnutzung zahlen müssten.
Das Finanzgericht äußerte erhebliche Zweifel daran, dass die §§ 218 ff. BewG grundsätzlich dazu geeignet seien, zu einer realitäts- und relationsgerechten Grundstücksbewertung zu führen. Der Grund sei die hohe Zahl gesetzlicher Typisierungen und Pauschalierungen. Gemeint ist hier insbesondere die Verwendung von Zahlen aus Tabellen in Gesetzesanhängen. Das Gericht kritisierte die "nahezu vollständige
Vernachlässigung aller
individueller Umstände der konkret bewerteten Grundstücke" (Beschlüsse vom 23.11.2023, Az. 4 V 1295/23 und 4 V 1429/23, Rechtsmittel möglich).
Wie hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg zur neuen Grundsteuer entschieden?
Eine andere Entscheidung kommt aus
Berlin. Auch hier handelte es sich um ein Eilverfahren, mit dem der Grundsteuerwertbescheid angegriffen wurde.
Eine Grundeigentümerin hatte ihren Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Bescheids ausschließlich mit Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes begründet. Dies reichte dem Gericht nicht: Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Bundesmodells der Grundsteuer könnten nur im
Ausnahmefall eine
Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen.
Solle ein Bescheid angefochten werden, der auf Basis eines formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes ergangen sei, müsse der Antragsteller zusätzlich ein besonderes berechtigtes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorbringen, das gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes vorrangig sei.
Mit anderen Worten: Es müssen auch
individuelle, schwerwiegende Gründe vorgebracht werden, warum ein Rechtsschutz im Eilverfahren notwendig ist. Mit der verfassungsrechtlichen Rechtmäßigkeit befasste sich das Finanzgericht nicht (Beschluss vom 1.9.2023, Az. 3 V 3080/23).
Die Berliner Entscheidung zeigt, dass es sich empfiehlt, einen Widerspruch nicht ausschließlich mit verfassungsrechtlichen Bedenken zu begründen, sondern auch mit Argumenten hinsichtlich der Grundstücksbewertung im konkreten Fall.
Wie geht es mit der Grundsteuer weiter?
In mehreren Verfahren sind Rechtsmittel möglich. Der Eigentümerverband Haus & Grund sieht sich durch die Urteile aus Rheinland-Pfalz bestätigt und kündigte an, seine
Musterklagen bis in die
höchste Instanz zu treiben. Es bleibt abzuwarten, wie andere Gerichte entscheiden.
letzte Änderung U.M.
am 26.10.2024
Autor(en):
Ulf Matzen
Bild:
Bildagentur PantherMedia / Andriy Popov
|
Autor:in
|
Herr Ulf Matzen
Ulf Matzen ist Volljurist und schreibt freiberuflich Beiträge für Online-Portale und Unternehmen. Ein wichtiges Thema ist dabei das Immobilienrecht, aber auch das Verbraucherrecht ist häufig vertreten. Ulf Matzen ist Mitautor des Lexikons "Immobilien-Fachwissen von A-Z" (Grabener-Verlag) sowie von Kundenzeitungen und Ratgebern.
|
weitere Fachbeiträge des Autors
| Forenbeiträge
|
Eigenen Fachbeitrag veröffentlichen?
Sie sind Autor einer Fachpublikation oder Entwickler einer Excel-Vorlage? Gern können Sie sich an der Gestaltung der Inhalte unserer Fachportale beteiligen! Wir bieten die Möglichkeit Ihre Fachpublikation (Fachbeitrag, eBook, Diplomarbeit, Checkliste, Studie, Berichtsvorlage ...) bzw. Excel-Vorlage auf unseren Fachportalen zu veröffentlichen bzw. ggf. auch zu vermarkten.
Mehr Infos >>